William Shakespeare, unser dritter Klassiker

Es läßt sich nicht bestreiten, daß viele unserer größten deutschen Dichter und Denker seit dem XVIII. Jahrhundert unermüdlich daran arbeiten, den Engländern den Shakespeare zu klauen und ihn zu unserem dritten deutschen Klassiker zu machen. Goethe, Schiller, Schlegel, Wieland, Herder – um nur einige zu nennen. Dieses große und böse deutsche Werk muß also fortgeführt werden und da bietet sich der heutige Geburtstag des Shakespeares geradezu an. Geboren wurde er 1564 in – das müssen wir Deutschen uns noch überlegen oder England erobern. Am Diebstahl des Shakespeare hat übrigens auch unser großer Tondichter Richard Wagner mitgeholfen. Seine Oper „Das Liebesverbot“ beruht nämlich auf Shakespeares „Maß für Maß“ und darf daher bei unserem Werk nicht fehlen: https://www.youtube.com/watch?v=oBAB40dO1xU Das Stück spielt übrigens in unserer alten deutschen Hauptstadt Wien. Darin bittet die holde Isabella nun auf sehr eindringliche Weise den grimmigen Statthalter Angelo um das Leben ihres Bruders Claudio: http://www.zeno.org/Literatur/M/Shakespeare,+William/Kom%C3%B6dien/Ma%C3%9F+f%C3%BCr+Ma%C3%9F

„ANGELO.

Eu’r Bruder ist verfallen dem Gesetz,

Und Ihr verschwendet Eure Worte.

ISABELLA.

Weh mir!

Ach! Alle Seelen waren einst verfallen,

Und Er, dem Fug und Macht zur Strafe war,

Fand noch Vermittlung. Wie erging‘ es Euch,

Wollt‘ Er, das allerhöchste Recht, Euch richten

So, wie Ihr seid? Oh, das erwäget, Herr,

Und Gnade wird entschweben Euren Lippen

Mit Kindes Unschuld.

ANGELO.

Faßt Euch, schönes Mädchen;

Denn das Gesetz, nicht ich, straft Euern Bruder.

Wär‘ er mein Vetter, Bruder, ja mein Sohn,

Es ging‘ ihm so: sein Haupt wird morgen fallen.

ISABELLA.

Schon morgen! Das ist schnell! O schont ihn, schont ihn,

Er ist noch nicht bereit. Wir schlachten ja

Geflügel nur, wenn’s Zeit ist; dienten wir

Gott selbst mit mindrer Achtung, als wir sorgen

Für unser grobes Ich? Denkt, güt’ger, güt’ger Herr,

Wer büßte schon für dies Vergehn mit Tod?

So manche doch begingen’s! –

LUCIO (leise).

So ist’s recht.

ANGELO.

Nicht tot war das Gesetz, obwohl es schlief.

Die vielen hätten nicht gewagt den Frevel,

Wenn nur der erste, der die Vorschrift brach,

Für seine Tat gebüßt. Nun ist’s erwacht,

Forscht, was verübt ward, und Propheten gleich

Sieht es im Spiegel, was für künft’ge Sünden

(Ob jetzt schon, ob durch Nachsicht neu erzeugt,

Und ferner ausgebrütet und geboren)

Hinfort sich stufenweis‘ nicht mehr entwickeln,

Nein, sterben im Entstehn.

ISABELLA.

Zeigt dennoch Mitleid! –

ANGELO.

Das tu‘ ich nur, zeig‘ ich Gerechtigkeit.

Denn dann erbarmen mich, die ich nicht kenne,

Die jetz’ge Nachsicht einst verwunden möchte;

Und ihm wird Recht, der, ein Verbrechen büßend,

Nicht lebt, ein zweites zu begehn. Dies g’nüge; –

Claudio muß morgen sterben; – seid zufrieden!

ISABELLA.

So muß zuerst von Euch solch Urteil kommen,

Und er zuerst es dulden? Ach, ’s ist groß,

Des Riesen Kraft besitzen; doch tyrannisch,

Dem Riesen gleich sie brauchen.

LUCIO (leise).

Ha, vortrefflich! –

ISABELLA.

Könnten die Großen donnern

Wie Jupiter, sie machten taub den Gott:

Denn jeder winz’ge, kleinste Richter brauchte

Zum Donnern Jovis Äther; – nichts als Donnern!

O gnadenreicher Himmel!

Du mit dem zack’gen Felsenkeile spaltest

Den unzerkeilbar knot’gen Eichenstamm,

Nicht zarte Myrten: doch der Mensch, der stolze Mensch,

In kleine, kurze Majestät gekleidet,

Vergessend, was am mind’sten zu bezweifeln,

Sein gläsern Element, – wie zorn’ge Affen,

Spielt solchen Wahnsinn gaukelnd vor dem Himmel,

Daß Engel weinen, die, gelaunt wie wir,

Sich alle sterblich lachen würden. –

LUCIO.

Nur weiter, weiter, Kind; er gibt schon nach;

Es wirkt, ich seh‘ es.

SCHLIESSER.

Geb‘ ihr Gott Gelingen! –

ISABELLA.

Miß nicht den Nächsten nach dem eignen Maß:

Ihr Starken scherzt mit Heil’gen. Witz an euch

Ist, was am Kleinen nur Entweihung wär‘.

LUCIO.

Das ist die rechte Weise; immer mehr! –

ISABELLA.

Was in des Feldherrn Mund ein zornig Wort,

Wird beim Soldaten Gotteslästerung.

LUCIO.

Wo nimmst du das nur her? Fahr‘ fort! –

ANGELO.

Was überhäufst du mich mit all den Sprüchen? –

ISABELLA.

Weil Hoheit, wenn sie auch wie andre irrt,

Doch eine Art von Heilkraft in sich trägt,

Die Fehl‘ und Wunden schließt. Fragt Euer Herz,

Klopft an die eigne Brust, ob nichts drin wohnt,

Das meines Bruders Fehltritt gleicht: bekennt sie

Menschliche Schwachheit, wie die seine war,

So steig‘ aus ihr kein Laut auf Eure Zunge

Zu Claudias Tod.

ANGELO.

Sie spricht so tiefen Sinns,

Daß Sinn und Geist ihr folgen. – Lebt nun wohl! –

ISABELLA.

O teurer Herr, kehrt um! –

ANGELO.

Ich überleg‘ es noch. Kommt morgen wieder! –

ISABELLA.

Hört, wie ich Euch bestechen will! Kehrt um,

Mein güt’ger Herr!

ANGELO.

Wie! Mich bestechen?

ISABELLA.

Ja, mit solchen Gaben,

Wie sie der Himmel mit Euch teilt! –

LUCIO.

Gut, sonst verdarbst du alles! –

ISABELLA.

Nicht eitle Seckel voll geprägten Goldes,

Noch Steine, deren Wert bald reich, bald arm,

Nachdem die Laun‘ es schätzt: nein, fromm Gebet,

Das auf zum Himmel steigt und zu ihm dringt

Vor Sonnenaufgang; Bitten reiner Seelen,

Fastender Jungfrau’n, deren Herz nicht hängt

An dieser Zeitlichkeit.“

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